Mittwoch, 23. November 2016

Spätsommer



Er sitzt auf der Bettkante, der Schweiß läuft ihm im Rücken zusammen und herab in die Porinne. Zwischen ihren Brüsten bricht sich das Licht in den Perlen aus Natrium, Harn und Wasser. Durch die angekippten Fenster zieht der Gestank der aufgeheizten Stadt herein. Er wünscht sich Regen. Dauerregen. Zehn Stunden durchgehend - mindestens - um darin den Gestank und Dreck und die Erinnerungen wegzuspülen und endlich Abkühlung zu erfahren. Seit drei Wochen fallen die Temperaturen nur noch nachts knapp unter fünfunddreißig Grad. Er kann unter solchen Bedingungen weder essen, noch schlafen geschweige denn klar denken und nur mühselig gelingt es ihm sich mit lesen und fernsehen abzulenken und seinen Geist zu zerstreuen. Er ist wie gelähmt. Drei Wochen. Drei Wochen Hitze. Drei Wochen Trockenheit. Drei Wochen absonderlicher Gestank. Und nun liegt sie neben ihm und er beneidet sie. Während ihm der Schweiß in Strömen am Körper herabfließt und die Hitze ihm das Hirn weichkocht, liegt sie da und die glänzenden Perlen beginnen auf ihrem verblassenden Leib zu trocknen. Er genießt die Ruhe und doch fehlt ihm etwas. Ihm fehlt ihre Stimme. Ihre sonore Stimme. Ihr zuweilen melodisches Säuseln in seinem Ohr, ganz gleich ob nach dem Akt oder zwischen zwei Zigaretten. Er legt seinen Kopf auf ihre Brust und lauscht der Stille ihres Herzens, während er mit seinen Fingern über ihren nackten, noch klammen Körper streicht und aus dem Fenster auf die gegenüberliegende Straßenseite blickt. Er weiß, er sollte die Vorhänge schließen, doch er weiß auch, dass er sich nicht von ihr entfernen will - nicht von ihr entfernen kann - nicht einmal für einen kurzen Moment. Wenn er schon nie wieder ihre Stimme wird vernehmen können, so will er wenigstens den letzten Rest ihrer entweichenden Existenz in sich aufsaugen, ihre letzten Funken Energie. Er schließt die Augen. Die Hitze und die Anstrengungen der letzten Stunde haben ihn schläfrig gemacht...


Als er wieder aufwacht ist die Farbe aus ihren Lippen gewichen ebenso aus den Fingerkuppen. Die Venen zeichnen sich deutlich an ihren Armen ab, um ihren Hals hat sich ein blaurotviolettes Band gebildet. Er würde sich gern noch einmal mit ihr unterhalten. Über dieses und jenes. Über Gott und seine Welt. Über das Warum und Weshalb. Er streichelt ihre kalten, blassen Schenkel und küsst ihren Bauchnabel. Das hat er schon früher gern getan. Er schließt die Augen und beginnt zu erzählen, warum er nicht daran glauben kann, dass sie keine Zukunft hätten und warum er glaubt, der letzte Akt zwischen ihnen hätte anders ausgehen können. Er wisse, dass es immer ein Spagat für Sie gewesen sei und dass er es leichter habe. Er bestätigt ihr noch einmal er wolle keine andere, keine jüngere, keine schlankere und vor allem keine blondere, doch sie hört ihm gar nicht zu. Sie liegt reglos da und harrt aus, während er sich echauffiert bis er sich damit abfindet, dass sie beide trotz allen Gemeinsamkeiten und vereinenden Unterschieden keine Zukunft mehr haben werden. Ihm läuft eine einzelne Träne über die Wange.

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