1.0 Am Scheideweg
Wir sitzen vollgefressen
nebeneinander auf dem Boden. Ihre Augenringe sind in den letzten Tagen noch
dunkler geworden, ihre Wangen fallen langsam ein, doch selbst so ist sie noch
viel schöner, als sie sich selbst zugesteht. Ihr sind ein
paar Strähnen ins Gesicht gefallen, während sie von ihrem Tag erzählt und ich
bemühe mich wirklich, ihr zuzuhören und alles mitzuschneiden, doch
hauptsächlich bewundere ich das Spiel ihrer Lippen beim Sprechen. Letzte Nacht
hat es bei mir Klick gemacht. Ich hatte eine Art Epiphanie. Ich habe schlaflos
geträumt und weiß nur nicht, wie ich es ihr sagen soll, denn wir sind Freunde.
Großartige Freunde. Ganz besondere Freunde. Nein, wir sind Geschwister, die
sich vor sechs Monaten erst gefunden haben. Ich will zu gleichen Teilen
bewahren, was ist, und ebenso mehr, als wir haben. Ich will sie. Ohne Wenn und
Aber, dafür mit Haut und Haar.
Und sie? Erzählt inzwischen
nicht mehr von ihrem Tag, sondern ihrer Untervögelung. Sie erzählt, dass sie
gerade gern eine Fickbeziehung hätte. Ich horche kurz auf. Nicht mit mir. Gott
sei Dank! Das könnte ich nicht, nicht mit ihr. Ich will mehr als das. Sie
meint, sie sollte vielleicht diesen oder jenen mal wieder anrufen und einfach
sagen, was Sache ist. In mir steigt ein dumpfes Gefühl auf, das sofort meinen aufkeimenden
Mut verdrängt und mir sagt: "Sie wird in dir nie mehr als einen Freund
sehen. Das passiert dir doch ständig, musste dich doch langsam dran gewöhnt
haben. Volltrottel!"
"Wie siehst’n du das?“, ihre
Frage reißt mich aus meinen Gedanken.
"Ja, nein, was? Sorry, war
grad ganz weit weg.“
Ich gucke auf den Boden, während
mir die Schamesröte ins Gesicht steigt. Ich will mich zu ihr rüber beugen. Sie
küssen. Will ihr sagen, dass ich verliebt in sie bin, doch die Angst überwiegt
und lähmt mich. Die Angst zu verlieren, was wir haben, übertönt die Hoffnung
und den Glauben daran, was wir alles sein könnten. Sie ist mir so
unbeschreiblich wichtig. Sie ist großartig, auch wenn sie es selbst nicht
sieht. Sie vervollständigt mich, sie mindert meine Schwächen und hebt meine
Stärken. Wir harmonieren so gut. Wir funktionieren instinktiv und wir könnten
ein noch besseres Team sein. Ich kann mir in manchen Momenten ihrer Nähe sogar
schon vorstellen, irgendwann mit ihr eine Familie zu gründen. Also vielleicht,
irgendwann, wenn das mit uns tatsächlich so gut laufen sollte, wie ich es mir
ausmale. Ich schieb den Gedanken beiseite, so weit ist es noch lange nicht. Baby
Steps. Immer schön eins nach dem anderen. Vorher sollte sie vielleicht wissen,
wie es in mir aussieht.
Ich merke, wie sich meine Zunge
verselbstständigt und es aus mir raus bricht.
"Was?!“, entfährt es ihr.
"Ja. Ganz klar."
Sie sieht mich an. Sie sieht
mich lange an. Sie sieht mich sehr lange an und ich weiß nicht, was ich sagen
oder tun soll. Sie scheinbar auch nicht und wir sitzen einfach nur da, umgeben
von der Schwere einer bevorstehenden Entscheidung.
Vor meinen Augen tut sich der
Scheideweg auf…
2.1 Am Scheideweg links
…wir sitzen auf den
Fahrradständern vor meiner ehemaligen Trainingshalle. Ich trinke und rauche.
"Ich hätte mal wieder Lust,
mich windelweich prügeln zu lassen", ich werfe die leere Bierflasche an
die Wand der halb verwitterten Halle . Das Klirren zerreißt die
Kleinstadtnacht. Sie legt mir ihre Hand in den Nacken und kneift kräftig zu, wahrscheinlich
durchschaut sie mein Mackergehabe schon jetzt.
"Weißt du", ich
schlage mit der Faust in die flache Hand, "mir fehlt einfach das Gefühl zu
wissen, nicht aus Glas zu sein."
"Du bist bescheuert", sie
schüttelt den Kopf.
"Ja, wahrscheinlich, aber
was soll ich machen?"
"Du hast einen guten Job
und", sie küsst meinen Hals, " eine Frau, die dich liebt. Mehr
brauchst du doch nicht."
"Ja. Nein. Doch. Du
verstehst das nicht. Mein Opa", ich schnippe meine Zigarette in die
Dunkelheit und folge mit meinem Blick der Flugbahn im Dunkeln, "ist in
meinem Alter dem Tod schon drei Mal von der Klinge gesprungen."
"Und? Hat ihn das glücklich
gemacht?"
Ich schüttele unweigerlich den
Kopf. "Nein, aber..."
"Nix aber!", fällt sie
mir sofort ins Wort. "Manchmal bist du einfach ein unglaublicher
Idiot."
Ich sehe sie mit offenem Mund
an.
"Du brauchst gar nicht so
zu gucken. Is‘ so!"
"Nein, aber doch. Weißt
du", setze ich wieder an, "die Welt ist ein riesiger
Abenteuerspielplatz und alles, was ich mach', ist jeden Tag arbeiten gehen und
die Feierabende mit der besten Frau der Welt genießen." Ich lächele
gequält.
"Und warum ist das
schlecht?"
"Weil, weil", ich
fuchtele hilflos mit den Händen in der Luft, "weil keine Ahnung! Ich hab
einfach das Gefühl, mir geht's zu gut."
"Dein Opa ist gerade mal
sechs Stunden unter der Erde und du kreist schon wieder nur um dich." Sie
schüttelt enttäuscht den Kopf.
"Oder mein Vater, zum
Beispiel, mit seiner Kleinstadtmofagang."
"Was?", fährt sie mich
an.
"Na, der hat seine Jugend
im Schweinesystem auch voll ausgelebt. Er wusst's halt nicht besser, aber er
hat was draus gemacht."
"Und was, bitte, hat das
mit deinem Opa oder dir zu tun?"
"Nichts! Absolut nichts und
gleichzeitig alles. Verstehst du?"
Sie stützt ihren Kopf auf ihre
Hände und blickt ins Leere, während ich mit den Füßen wippe. Ich klemm‘ meine
Zigarette zwischen die Lippen, um das nächste Bier aus meinem Stoffbeutel zu
greifen.
Ich kann sehen, wie sie aus halb
geschlossenen Augen zu mir rüber schielt. "Wolltest du nicht
aufhören?"
"Womit?" Ich zucke
betont ahnungslos mit den Schultern.
"Na mit dem Trinken und mit
dem Rauchen auch."
"Ja, ich weiß", ich
atme den Rauch aus und trink‘ einen Schluck, "aber was soll ich machen?
Ich bin schwach. Genau das mein ich doch." Ich schnippe die Kippe weg und
steck mir direkt die nächste in den Mund. "Ich hab nie gelernt, was
durchzuziehen, zu Ende zu bringen, geschweige denn das Ergebnis zu genießen und
auszukosten."
Sie murmelt, doch deutlich
hörbar, das Wort Vollidiot in ihre Handflächen.
"Ja! Ich bin ein Vollidiot!
Du hast doch recht!" Ich springe auf. "Im siebten Monat war ich das
erste Mal im Gerichtssaal, weil mein Bruder wieder irgendwelche Scheiße gebaut
hat. Und seitdem?", ich strecke die Arme zur Seite aus, "Tote Hose! Wär's
nur drum gegangen, verknackt zu werden, das hätte ich oft genug haben können.
Aber das war mir zu dumm", ich spucke auf den Boden, "ich hatte immer
alle Möglichkeiten, aber hab keine genutzt. Und da war nichts, wogegen ich
hätte aufbegehren müssen. Meine Eltern sind ganz okay. Oder?" Sie nickt.
"Das politische System hier ist auch nicht so richtig kacke. Oder?"
Ich sehe sie an, sie nickt wieder. "Verstehst du? Ich hatte nie etwas,
wofür oder wogegen es sich zu kämpfen gelohnt hätte!"
Ich merke, wie ich in mir
zusammenfalle und meine Wangen feucht werden. Ich setze mich auf den Boden,
lasse mich auf den Rücken fallen und bleib im Kies liegen. Sie sitzt auf dem
Fahrradständer und sieht mich an. Ich hatte gehofft, sie würde mir den Bauch
streicheln, um mich zu beruhigen, wie sonst immer.
"Bist du jetzt fertig?“
"Weiß nich‘“, entgegne ich
ihr und blicke zu ihr auf.
"Gut, dann kann ich ja
jetzt“, sie nimmt die Zigarettenschachtel aus dem Stoffbeutel und wirft sie
in den Mülleimer neben sich. "Wir
sind seit über drei Jahren zusammen. Du hast mir von Anfang an gesagt, ich wäre
alles, was du für dein Glück brauchst.“
"Ich weiß, aber…“, versuche
ich sie zu unterbrechen.
"Lass mich ausreden!“, sie wird
unwirsch, "wir haben eine wunderschöne Altbauwohnung, bringen genug Geld
nach Hause, um am Monatsende noch den Kühlschrank voll zu haben.“ In ihrer
Stimme schwingt etwas Unheilvolles mit. "Du hast dein Rennrad und dein
Auto und wir eine zuckersüße Katze.“
Ich drehe mich auf die Seite und
rolle mich wie ein Embryo zusammen, sie muss doch irgendwann reagieren.
"Außerdem lässt dir dein
Job genug Zeit dich mit all dem auch noch zu beschäftigen und für dich, mich
und Kurztrips übers Wochenende. Nur weil du Angst davor hast, darfst du dir
trotzdem erlauben glücklich sein. Ich bin doch immer da, oder etwa nicht?“ Ich
schweige. "Aber wenn du selbst nicht willst, dann kann ich dir langsam
auch nicht mehr helfen.“ Sie steht auf und geht auf das Ausgangstor zu. Ich
liege im Kies und heule, inzwischen so richtig.
Ich springe auf. "Warte!“, mein
Ruf ist von Tränen erstickt, doch sie bleibt stehen und dreht sich zu mir um.
Ich renne zu ihr. "Es tut mir leid! Ich will glücklich sein, aber ich
brauch dich dafür. Bitte geh jetzt nicht.“
Sie nimmt mich in den Arm und
streichelt mir den Kopf. "Es tut mir leid, aber ich ertrag‘ gerade einfach
nicht mehr, wie du dauernd im Kreis rennst.“
Mir friert das Gesicht ein und
meine Arme fallen schlapp nach unten.
Sie setzt nach: "Alles wird
gut, es war nie schlecht. Und wer weiß, vielleicht, irgendwann, wenn du das
selbst erkennst, aber mir fehlt gerade wirklich die Kraft für ein zu groß
geratenes Kleinkind.“ Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange, löst ihre
Umarmung, dreht sich um und verschwindet in der Nacht.
2.2 Am Scheideweg geradeaus
…ich sitze am Fenster und schaue
in den Garten. Es brauchte ein bisschen Zeit und Hin und Her, doch wir liebten
uns dann doch bis ans Ende unserer Tage. Naja, ihrer Tage. Sie ist vor
anderthalb Jahren von uns gegangen. Am dritten März, das war ein Sonntag. Ich
sehe sie noch vor mir, als wäre es gestern gewesen. An dem Morgen. Im Bett.
Aber ich will nicht klagen, wir hatten ein gutes Leben.
Wir haben es laufen lassen und
geschaut, wo es uns hinführt. Jeden Tag aufs Neue. Sicher hatte ich ein gutes
Stück Gefühlsvorsprung, aber sie zog dann tatsächlich nach. Nach und nach und
dann wurde es nur immer besser. So gut wir als Freunde auch funktionierten,
umso besser harmonierten wir als Paar. Es hat sich dann einfach irgendwie
gefügt, schätze ich. Aus zwei Wohnungen wurde eine, erst nur so, dann wurden
auch aus zwei Meldeadressen eine. Wir haben uns ziemlich schnell eine Katze
zugelegt. Dabei war ich nie der Haustier-Typ, aber das süße, kleine Ding hat
mich im Sturm erobert.
Und sie? Sie wurde ziemlich
schnell dick und immer dicker, so neun Monate lang. Dabei war ich nie der
Familien-Typ, aber die Zwillinge haben mich im Sturm erobert.
Wir sind mit den Kindern bald aus
der Stadt weggezogen. Die Wohnung war einfach zu klein, der Moloch zu groß und
zu laut. Den Kredit haben wir immer brav abgezahlt und nach ein paar Jahren war
das kleine Haus im Grünen wirklich unser kleines Haus im Grünen und wir waren
mittlerweile zu sechst.
Wir haben gearbeitet und gelebt.
Work-Life-Balance nennt man das wohl. Haben gelebt und uns immer geliebt. Glück
nenn' ich das. Und die Kinder wurden langsam groß. Dann zog eins nach dem
anderen aus, sie bauten sich ihre eigenen Leben auf, bekamen selbst Kinder und
wir beide genossen einfach wieder die Zeit zu zweit. Dann ging sie fort, aber
ich will wirklich nicht klagen. Wir hatten ein gutes Leben und die Kinder
kommen mich manchmal mit den Enkeln besuchen hier in der Residenz. Ich schaff'
es einfach nicht mehr allein, hab ich ja schon vor ihr nie, wieso sollte es
nach ihr anders sein. Aber ich will nicht klagen. Irgendwann sehe ich sie
wieder und bis dahin denke ich daran, was sie mir immer sagte: "Erlaube
dir glücklich zu sein."
2.3 Am Scheideweg rechts
...ich sitz morgens kurz vor
sechs in der Straßenbahn, dreh' grad die dritte Runde und bin noch immer voll
wie 'ne Haubitze. Schon wieder. Es ist jetzt ein oder zwei Jahre her - warum
weiß ich das nicht mehr genau? Da seh' ich diesen Typen an der Haltestelle.
Diesen Typen in Businesskutte, mit Kippe im Mund. Der muss dran glauben. Solche
konnte ich noch nie leiden, besonders nachdem ich selbst so einer war. Ich
wanke zur Tür, drücke den Halteknopf und kann meine Mitfahrer aufatmen hören.
Wenn er jetzt nicht einsteigt, ist er dran. Ich will ihm nicht aufs Maul hauen,
er ist einfach nur dran.
Die Bahn hält, die Türen öffnen
sich und ich schwanke schnurstracks auf ihn zu. "Kannste mir eine geben,
bitte", ich deute auf seine Zigarette, meine Beine fühlen sich wie Gummi
an und ich guck ihm dabei zu, wie er in seiner Jackettasche kramt, während mir
die frische Luft gerade beinahe den Rest gibt. Ich hole meine Feuerzeug raus.
"Danke." Die Bahn fährt weiter, ich greif nach der Zigarette und
steck sie mir in den Mund. Möge das Schauspiel beginnen. Der Stadtteil ist
nicht der beste, mit sowas muss er rechnen. Ich zünd' mir die Kippe an und
beginne zu erzählen, dass ich mit den Frauen einfach kein Glück habe, dass ich
entweder zu lange warte und dann den richtigen Moment verpasse, dass sie mich
schnell leid sind oder dass sie mir immer wieder die Freundschaftskeule über'n
Nüschel ziehen. Er fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Gut, so soll es
sein. Soll er ruhig die Nase rümpfen. Ja! Ich! Stinke! Ich bemerke, wie sein
Ehering in den ersten Sonnenstrahlen des Tages funkelt, und begreife endlich,
warum die Säufer, Druffis und Penner das früher immer mit mir gemacht haben. Es
fühlt sich einfach gut an, einen Wildfremden voll zu schwallen, und man spart
sich das Gerenne nach einer Überweisung zum Seelenklempner. Er will weg, das
merk' ich, aber seine nächste Chance kommt frühestens in zehn Minuten. Ich
zähle ihm erst mal die vielen Male auf, in denen ich nur ein Freund war und wie
beschissen es sich anfangs immer wieder angefühlt hat. Er nickt ab und zu und
gibt mir aus einer Mischung aus Verlegenheit, Höflichkeit und Angst recht. Ich
find's ganz geil, aber sein Weltbild wankt noch nicht. Noch ist seine kleine,
heile Welt intakt. Ich zieh' erst zum dritten Mal an der Kippe und blas ihm den
Rauch diesmal ins Gesicht. Er würgt kurz, aber ich hab auch Pfeffi gesoffen, so
schlecht kann mein Atem gar nicht sein.
"Weißt du", ich huste
und rotz' ihm den braunen Schleim direkt vor die Füße, er zuckt ein Stück
zurück, "vor ein oder zwei Jahren", ernsthaft, warum weiß ich das
nicht mehr?, "hab ich bei 'ner Freundin gesessen. Ey, versteh' mich nich'
falsch", ich leg ihm meine Hand auf die Schulter, er schiebt sie weg,
"ich war gern mit ihr befreundet, aber ich wollt' halt wieder mal mehr,
als ich verdiene." Ich kratz mich im Schritt und rieche an meiner Hand,
"wir kannten uns damals schon so'n halbes Jahr und es war 'n gutes halbes
Jahr. Wir haben immer mal zusammen gekocht und waren füreinander da und haben
uns gegenseitig unsere anderen Freunde vorgestellt." Er sieht hilfesuchend
auf seine Uhr. Tut mir leid, Digger, musst schon noch bisschen aushalten.
"Und dann war da dieser eine Tag. Für mich war alles klar und dann kommt
sie, erzählt mir, ihr wäre die Freundschaft sehr wichtig. Sie sehe mich als
Bruder. Ja, sicher! Wo is' sie denn jetzt? Lässt ihren Bruder allein." Er
scheint tatsächlich sowas wie Mitleid zu spüren in seiner Angewidertheit. Die
Kippe ist mir inzwischen ausgegangen. "Weißte, ich hab echt viel Liebe zu
verteilen, aber ich such mir scheinbar immer die falschen dafür aus", ich
zünd' die halbe Zigarette wieder an, "ich hab echt alles versucht. Ich war
rund um die Uhr für sie da, hab ihr Geschenke gemacht. Ich hab ihr immer wieder
gesagt, was sie mir bedeutet und sie hat mir was von Abstand erzählt. Ja, okay.
Vielleicht hab ich sie paar Mal im Suff angerufen und nachts bei ihr
geklingelt, aber dann hab ich's echt runtergeschluckt. Verstehste? Ich war echt
bereit, nur ein Freund für sie zu sein. Und weißte was? Da war sie dann
plötzlich weg", ich lache, eigentlich huste ich mehr, als dass ich lache,
"hab dann ewig nix mehr von ihr gehört." Er sieht über meine Schulter
und ich blicke mich kurz um. Da kommt ein Bus. Er nimmt ihn ins Visier. Jetzt
schnell nochmal nachlegen, "was soll ich denn nur machen?" Zum
Abschluss lallt es möglichst pathetisch aus mir raus: "Ich will auch sowas."
Ich deute auf seinen Ehering. Er bedeckt ihn sofort mit seiner anderen Hand,
ich stehe ganz dicht vor ihm und seh' ihm in die Augen.
Er schnippt seine Zigarette an
mir vorbei in den Rinnstein, macht einen Schritt zurück und rückt seine
Umhängetasche auf der Schulter zurecht, "tut mir ehrlich leid, das zu
hören", er drückt mir zwei Zigaretten in die Hand. "Pass auf dich
auf, okay? Und viel Glück." Er springt förmlich in den Bus und ich
verzichte darauf, mitzufahren. Er hat für heute genug gelitten und ich muss
sowieso erst mal in Ruhe rauchen.
3.0 Am Scheideweg zurück
...sie sitzt neben mir auf ihrer
Couch und wir gucken irgend einen Film. Die Lasagne ist im Ofen. Wir kochen
endlich mal wieder zusammen. Es ist ziemlich genau ein halbes Jahr her.
Erst
hab ich ins Leere gedacht, hab gesoffen und geraucht, dann hab ich mit anderen
geredet und mir Rat geholt. Bin noch ein paar Mal vorgeprescht und wieder
zurückgefallen. Dann hab ich irgendwann innegehalten, die Situation wirklich
reflektiert und bewertet. Ich hab abgewogen, was mir wirklich wichtig ist und
mir kam diese Frage in den Sinn, die sie mir mal gestellt hat: "Warum
erlaubst du dir nicht, glücklich zu sein?"
Dass sie ein wichtiger Teil
meines Glücks sein würde, war mir schnell klar, aber irgendwann flackerte da
störend das Wort Bruder vor meinem inneren Auge. Wie eine riesige
Neonleuchtreklame. Wie die in den Filmen über Las Vegas, nur nicht direkt so
unterhaltsam, wie ein fünfzig Meter großer Cowboy, der die Farbe wechseln kann.
Jetzt sitzen wir hier, nachdem
wir uns unter der Woche schon auf neutralem Boden getroffen haben. Es wird
sicher noch eine Weile brauchen und vielleicht wird es nie mehr wie vorher,
aber tief in mir weiß ich, ich will ihr Bruder sein.