Als er wach wird, hat die Sonne
ihren Zenit bereits überschritten. Er wischt sich die Hände am Laken trocken,
zieht sich Unterhose und T-Shirt an. Der Geruch der Milchsäure steigt ihm aus
dem Wäschekorb in die Nase. Er rafft sich auf, packt den Korb, geht ins Bad und
schüttet den Inhalt unbesehen in die Maschine, schlägt die Tür zu und geht
weiter in die Küche.
Er spült eine der herumstehenden
Tassen flüchtig aus, gießt sich den letzten, kalten Kaffee vom Vortag ein und
stellt sich ans offene Fenster. Auf der Straße unter ihm ist es ungewöhnlich
ruhig. Er sieht auf die Uhr: 16.43. Eigentlich Zeit für Begängnis, Hochbetrieb,
Geschäftigkeit, Feierabendverkehr. Kurz: Montagnachmittag.
Der Himmel babyblau, kein weißer
Fleck weit und breit, der die Optik verschandeln könnte. Nur aus der Ferne sind
die Schläge der Rotorblätter eines kreisenden Hubschraubers undeutlich zu
vernehmen. Auch die Rufe aus dem Stadtzentrum sind nicht zu verstehen, doch er
kennt sie bereits. Er weiß, was er morgen in den Zeitungen wird lesen können.
Die Arme von einigen zum alten Gruß gehoben, Parolen proklamiert. Er weiß, was
darauf folgen wird. Die üblichen Grabenkämpfe in den Kommentarspalten. Alle
über jeden Zweifel erhaben. Die einen werden den Mob verharmlosen und die
Schuld für die Ausfälle auf gezielte Provokationen der Gegenseite schieben,
während die anderen mit einem Vergleich jede Diskussion im Keim ersticken
werden. Er verabscheut die - womöglich wirklich - Besorgten für ihre
Anbiederung bei den Fahnen schwenkenden Schreihälsen. Doch er will sich nicht
zu erkennen geben. Noch nicht.
Er geht zur Küchenzeile, wiegt
die Box vom Asia-Lieferservice in der einen Hand, während er mit der anderen
eine Gabel aus dem Abwasch greift und setzt sich an den Küchentisch. Die Nudeln
haben die Sauce seit dem Vorabend aufgesogen. Das Hähnchenfleisch ist kalt und
labberig. Er beginnt die Reste in sich rein zu schaufeln. Draußen rauschen nur
sporadisch Autos vorbei. Wer nicht im Stadtzentrum ist, muss wohl noch im
Urlaub am Meer, in den Bergen oder auf Malle sein. Er versucht die Ruhe zu
genießen, überlegt, wen er anrufen, mit wem er weggehen könnte.
Hans ist sicher mitten im
Demozug zu finden. Thor Steinar war bei ihm nicht nur eine Phase schlechten
Geschmacks. Olli wird Hans wohl gegenüberstehen, ist er doch inzwischen ganz
offen Linker geworden. Keiner von den zündelnden Steineschmeißern. Gutmensch
eben. Integration statt Abschiebehaft, immer kontra dem rechten Denken. Aus
Prinzip und Überzeugung. Doch er ist noch nicht bereit, sich an Ollis Seite zu
erkennen zu geben. Es wird schon vorbeigehen. Wie mit den Hartzern und den
Griechen. Abgelöst durch ein neues Feindbild.
Er dreht das kalte Wasser auf,
legt sich in die Wanne und beobachtet den steigenden Wasserspiegel. Sein
untergetauchter Kopf lässt auch die letzten Außengeräusche verstummen. Er
schließt die Augen, vergisst die schwere Luft, verdrängt die aufgeheizte
Stimmung. Es wird schon vorübergehen.
Er beginnt zu schweben, sieht
die guten alten Zeiten vor seinem inneren Auge. Mit Hans und Olli in der
Schule. Keine Sorgen weit und breit. Saufen, feiern, tanzen. Das volle
Programm.
Er hört einen dumpfen Schlag,
öffnet die Augen, taucht auf. Von draußen hämmert der Regen an die Scheibe. Der
Himmel ist grau. Blitze zucken über der Stadt. Das Wetter ist gekippt. Sicher
nur ein Moment.