Mittwoch, 28. Juni 2017

Geschenkt? Gekauft.



"Na, wo kommst du her?" Ihre Hand streicht über meine Brust nach unten. Meine Sachen hab ich schon abgelegt. Die Details unserer einstündigen Beziehung haben wir geklärt. Vorkasse.
"Gegenüber." Sie sieht mich verdutzt an. "Erstes OG. Da", ich deute mit meiner Hand zum Fenster. Ich habe sie schon oft bei der Arbeit gesehen. Die Ästhetik genossen, wenn sie den spärlichen Rest ihres Outfits richtet, um sich einem neuen Gast vorzustellen. Es beruhigt mich immer sie so zu sehen, erdet mich irgendwie. Und jetzt sitzen wir nebeneinander auf dem Bett. Auf der anderen Straßenseite. Mit Blick auf meine Wohnung. Verkehrte Welt. Für mich, nicht für sie. Business as usual. Nur ein weiterer Gast. Nur eine weitere Stunde. Ich bin ein guter Gast. Frisch geduscht. Nicht hier, um Allmachtsphantasien auszuleben. Will nur mal wieder ein bisschen menschliche Nähe und Wärme spüren. Gekauft? Geschenkt. 

Sie streichelt meinen Schwanz, flüstert mir Nettigkeiten ins Ohr. Ich glaube ihr keine einzige, aber es fühlt sich gut an. Einfach ein paar liebe Worte, ein bisschen Nähe, ein bisschen Zuneigung. Er wird hart. Sie greift das Gleitgel. "Geht nicht mehr so gut wie früher. Das viele Rasieren, die vielen Kerle, die glauben, wirklich mich zu kaufen."
Ich küsse sie, hab ich vorher ausgehandelt. "Schon okay."

Sie beugt sich in meinen Schoß, ihre Zunge ertastet meine Eichel, ehe ihre Lippen sich um den Schaft schließen. Ihr Kopf bewegt sich auf und ab, ihre Zunge streicht in kreisenden Bewegungen um meinen Schwanz. Sie knetet mit ihren Fingern meine Eier. Als ich schon fast so weit bin, lässt sie ab. Sie nimmt ein Kondom vom Nachttisch, packt es aus, streift es mir über. Sie setzt sich rücklings auf mich und ich genieße ihre feuchte Wärme. Ich lecke ihr über den Rücken, ein wenig salzig, ist schon spät. Sie reitet mich schnell und hart, ich lehne mich zurück. Ihre Haare tanzen im Takt ihrer Bewegung. Ich gebe ihr das Zeichen, sie steigt ab, legt sich aufs Bett und ich knie mich über sie. Sie rollt das Kondom ab und bringt mich mit der Hand zum Höhepunkt. Sie zieht mich zu sich runter und sie bleibt einige Minuten in meinen Armen liegen. Unser Schweiß, mein Sperma, alles vermischt sich. Alles wie besprochen. Ein bisschen Wärme, ein bisschen Nähe. Gekauft? Geschenkt. 

Samstag, 17. Juni 2017

Nachbarschaftsfrühstück

6:56 Uhr. Ich zieh mir eine Jeans über den Schlafanzug, verlasse die Wohnung und gehe die paar Schritte bis zum Supermarkt um die Ecke.

7:01 Uhr. Ich stehe vor dem seit einer Minute geöffneten Supermarkt und schaue auf die Straße, ehe ich meine Zigarette im Ascher ausdrücke. Meine Nachbarin joggt vorbei. Sie stählt wieder ihren Körper, bevor sie später in der Uni den Geist trainiert.

7:11 Uhr. Ich komme mit ein paar Flaschen Bier, 'ner Pulle Pfeffi und zwei Schachteln aus dem Supermarkt und gehe zurück zum Haus. Natürlich rauche ich.

8:27 Uhr. Ich stehe mit Kippchen und Kaffee am Küchenfenster. Meine Nachbarin kommt gerade von ihrer Laufrunde. Ich nicke ihr zu und sie grüßt zurück. 

8:43 Uhr. Es klopft an meiner Tür. Ich gehe zum Spion und sehe hindurch. Meine Nachbarin. Ich öffne die Tür, sie wünscht mir einen guten Morgen und fragt, ob ich mit ihr frühstücken möchte.

8:50 Uhr. Wir sitzen an ihrem Küchentisch. Sie wolle nicht allein essen und das beinahe verwaiste Haus bereite ihr um diese Zeit besonderes Unbehagen.

8:55 Uhr. Der Kaffee ist schon durchgelaufen und dampft jetzt in meiner Tasse. Sie hat nur Sojamilch.


8:59 Uhr. Ich bemerke, wie ihre frisch gewaschenen Haare an ihrem Hals und ihren Schultern kleben. Sie ist trotz Sojamilch schön. Das Joggen lohnt sich.

9:01 Uhr. Sie fragt mich, was ich so mache. Ich sage ihr, so dieses und jenes und behaupte, ich sei ein Lebemann. Sie nickt vielsagend. Ich frage, was genau sie eigentlich studiert. Sie erzählt von irgendwas mit Medien und ich merke, wie aus dem Gespräch sofort die Luft raus ist.

9:06 Uhr. Der zweite Kaffee mit Sojamilch schmeckt schon besser. Gar nicht so schlecht das Zeug. Besser als das dahin dümpelnde Gespräch allemal. 

9:10 Uhr. Das Gespräch hat wieder an Fahrt aufgenommen, während wir über ihre Vorliebe fürs Joggen sprechen. Sie meint ein gesunder Geist verlange nach einem gesunden Körper. Ich meine Körper und Geist sollten sich in Einklang befinden. Sie meint, das sei dasselbe. Ich erkläre ihr, dass Leberzirrhose und die Trümmer geistiger Gesundheit auch einen wunderbaren Einklang hervorbrächten, ihrer These aber grundsätzlich widersprächen, so man den Ärzten glauben darf. Ich echauffiere mich weiterhin, dass der Optimierungswahn unserer modernen Gesellschaft in mir starken Brechreiz auslöst und zünde mir eine Zigarette an.

9:13 Uhr. Ich stehe vor ihrer Wohnung und die Tür knallt hinter mir ins Schloss. Dass heutzutage aber auch keiner mehr vernünftig diskutieren kann. Ich hole meinen Schlüssel raus und öffne meine Tür. Bei ihr hab ich wohl verschissen, aber vielleicht probier ich das mit der Sojamilch doch mal...

Sonntag, 4. Juni 2017

Schlamm



Ihre Worte greifen tief in mich hinein und bringen schwarzen Schlamm zum Vorschein, legen ihn vor mir auf den Tisch. 

Ich kann ihn dann angehen, beiseiteschieben und auflösen, wenn sie meine Hand hält, doch bin ich dann wieder fünf Minuten allein verfall ich in alte Muster. 


Dann verschling ich ihn wieder oder er mich und ich verklapp ihn in den hintersten, den finstersten Ecken. Nur nie wieder anrühren, werde schon irgendwie damit leben können. 


Doch dann nimmt sie wieder meine Hand und ich hab das Gefühl, die Kraft, den Willen zu glauben, dass alles gut werden kann.

Grauzone



das hier und jetzt ist eine grauzone
erkenn vergangenes, wie es war
phantasier zurecht, was sein soll
nur das hier und jetzt bleibt eine grauzone
die flügel sind auf dem rücken festgebunden
such den schuldigen irgendwo da draußen
dabei sitzt er in mir drin
und kommt ungestraft davon
und die welt rauscht nur so vorbei
während ich momente zusammenschreib
aus zukunft und vergangenheit
bleibt das hier und jetzt eine grauzone
dabei könnt' es so schön sein
ja es könnte so schön sein
die tage annehmen, wie sie sind
die vergangenheit ruhen lassen
das morgen auch dann erst angehen
nicht zurechtlegen, was wäre wenn vielleicht
kommen lassen, annehmen, mit beiden händen zugreifen
doch das hier und jetzt bleibt eine grauzone
ich bin da und dann doch wieder nicht
die welt erscheint wie ein einziges chaos
das sie villeicht auch ist
doch bleib ich nie wirklich stehen, es zu betrachten
lieber immer wieder ein schritt vor, zwei zurück
und so form ich meine umwelt in der retrospektive
oder in sinnleeren visionen vom vielleicht
nur die gegenwart gleitet unablässig unberührt durch meine finger
und so bleibt das hier und jetzt noch immer eine grauzone

Donnerstag, 1. Juni 2017

Neuanfang

Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen ist ein halb zerlegter Wartburg. Wir sind darin und darauf rumgeklettert, "gefahren" und haben die Sitzpolster noch weiter zerfetzt.

Dann kam der Umzug und manchmal hab' ich noch den Wartburg vor Augen. Dicht gefolgt von diesem einen komischen Geruch. Der stammt auch aus meiner Kindheit. Künstlich, chemisch. Wahrscheinlich böses krebserregendes Spielzeug aus China. Beinahe unmöglich zu beschreiben. Sie verfolgen mich beide bis heute. Keine kindlich gebliebenen Gesichter von Kindergartenfreunden, nur der Wartburg und dieser Geruch.

Dann kam die Kleinstadt. Tiefstes Niemandsland zwischen H. und L.
D. wie das schon klingt. Erst durchnässten meine Tränen die Laken, dann irgendwann andere Körperflüssigkeiten. Hat wohl doch Eindruck hinterlassen. Mittlerweile ist da nur das Gefühl geblieben kein zu Hause mehr zu haben, nicht dazuzugehören und regelmäßig neu anfangen zu müssen. Nur nicht zur Ruhe kommen. Lieber alles mit dem Arsch wieder einreißen, was ist, und die Zähler auf Null stellen.

Sicher, manchmal will ich, dass alles bleibt, wie es ist, aber meistens hindert mich der Unwille am Ankommen. Es ist weniger eine bewusste Entscheidung als ein innerer Zwang alles neu gestalten zu wollen. Ich kann einfach nicht glauben, dass es gut sein kann, wie es ist, und so stürze ich mich in selbstgemachtes Elend. Hauptsache nicht stehen bleiben. Hauptsache niemals etabliert sein. Jobs annehmen, kündigen, umziehen, verlieben, trennen. Nur nicht annehmen, was ist, ganz gleich, wie gut es sich anfühlt.