Freitag, 3. April 2020

#zuhause


Es war um den Jahreswechsel, als uns die Nachrichten eines neuen, hochansteckenden Virus' erreichten. Da hieß es noch, die Grippe sei viel, viel schlimmer, selbst wenn alle Statistiken zu Ansteckungsrate und Krankheitsverlauf das Gegenteil indizierten. Anfangs lachten wir auch noch darüber, dass das Regime in China eine ganze Provinz abriegelte. Sowas gäbe es auch nur in einer Diktatur.

Einige Wochen später erreichte auch uns der Virus und wir wurden alle in unsere Wohnungen verbannt. Hashtag zuhause begleitet von Polizisten auf Spielplätzen, in Parks, in Hubschraubern über den Städten und Denunziantentum im engeren Wohnumfeld. Es fühlte sich an, als warteten wir alle aufs Ergebnis des AIDS-Tests. Vorsorglich schenkten wir deshalb nach und nach unsere Rechte her. Auf Ausgangsbeschränkungen folgten freigegebene GPS-Daten und Bewegungsprofile. Feuchte Träume von Autokraten erfüllt vom freien, panischen Bürgerwillen. Sondervollmächte und Ermächtigungen bis die Krise ausgestanden sei. Doch wann war ein Virus je verschwunden? Die wenigsten waren darauf vorbereitet die Freiheit einst Stück für Stück zurück zu erobern. Zu sehr waren wir auf unsere eigene, kleine Blase getrimmt.

Die Einschränkungen im Privaten gingen Hand in Hand mit Schließungen all überall. Konzerne und Unternehmen, die selbstbeweihräucherten Motoren unserer Gesellschaft, sie alle beantragten sofort Kurzarbeit. Die Arbeiter, die Angestellten, alle auf Biegen und Brechen über Jahre bis zum letztmöglichen Tag für die letzten Kröten ausgepresst, sie alle wurden schnellstmöglich herabgesetzt auf fünfzig, zwanzig oder gar null Prozent ihrer Arbeitszeit, sahen ihre Felle davonschwimmen. Die Vermieter, die Banken, keiner war bereit, auf sein Geld zu verzichten. Stundungen das höchste der Gefühle. Währenddessen beschlossen Milliardenkonzerne, die immer schon, wo immer möglich ihre Steuerlast kleinrechneten, ihre Zahlungen einzustellen. Kredite? Können wir nicht bedienen. Mietzahlungen für Ladengeschäfte? Wie denn, ohne Einnahmen.

Und die geschundenen Massen? Sie kuschten weiter. „Gott bewahre uns vor der Arbeitslosigkeit. Die abhängige Beschäftigung macht uns frei.“

Parallel dazu schrien die Firmen, die sich durch Abgaben und staatliche Beschränkungen in ihrem freien Handeln eingeschränkt fühlten, sofort nach Vater Staat. Vater unser, der du sitzt im Reichstag, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe. Unsere Hilfszahlungen gib uns heute. Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Gläubigern. Erlöse uns von der Lohnfortzahlung. Denn dein ist das Recht und die Republik. In Ewigkeit. Amen.

Während also die einen zwangsentschleunigt wurden, die anderen ihre Milliarden retteten und, ohne dass sie es in der Form wollten, die systemrelevanten Berufe in den Mittelpunkt gespült wurden, wurden auch die Rufe immer lauter. Zunächst noch verhalten, bald immer überzeugter. „Asylbewerber auf die Felder!“ „Und Fridays For Future!“ „Und Hartzer!“ „Und die linksgrünversifften Meinungsdiktatoren sowieso!“ Der gute, aufrechte Biodeutsche habe schließlich ein Geburtsrecht auf Spargel. Zwangsarbeit zur Erntezeit war der schmale Grat, auf dem man wandeln wollte. Der Protest dagegen verhallte in den Unweiten der gedrosselten Internetgeschwindigkeit.

So gingen die Wochen ins Land, bis wir kurz vor Beginn der zweiten Jahreshälfte wieder ohne Passierschein den Arbeitsweg antreten durften. Dort angekommen sagte man uns, es sei nun unabdingbar, hundertfünfzig, ach was, zweihundert Prozent zu geben, um die wirtschaftlichen Schäden abzufedern. Natürlich dürfe man sich wieder frei bewegen, aber bisherige Arbeitszeitregelungen müsste man nun zunächst außer Kraft setzen, bis die Krise ausgestanden sei. Der Virus habe schließlich eine noch schwerer wiegende Wirtschaftskrise bedingt. Wie vorher könne man da nicht weitermachen. Die Natur, die versucht hatte, zurückzuschlagen, hatte man ja wieder unter Kontrolle gebracht. Jetzt galt es das gottgleiche Wesen des Marktes am Leben zu erhalten, damit er alles weitere regeln konnte.