Freitag, 31. März 2017

Trennungsangst



ich würd mich wirklich zu gern von den zwängen trennen
doch dazu müsst ich die selbstgestrickten ketten sprengen
mein schutzschild war stets die eigens gewählte isolation
durch sie blieb ich jahrelang erfolgreich von krisen verschont
so trieb die welt lang hin, hinter den schwaden aus bier und rauch
garniert mit der selbstverleugnung, dass ich keine liebe brauch
inzwischen hör ich die kreischende kinderstimme jeden tag
himmelhoch jauchzend, zu tode betrübt, langsam versteh ich die redensart
so werd ich nachts wach, heul, wie sonst nur ein schlosshund plärrt
unaufhörlich gefangen im fortwährenden kampf zwischen kopf und herz
bin nicht mal in meinem eig'nen film die hauptfigur
meist steh ich einfach daneben, trink und rauche nur
und mach mich abhängig von anderen leuten
ganz gleich von wem, ob von mackern, von bräuten
dreh dann selbst zu zweit einsam meine runden in parkanlagen
hab nur noch einen antrieb und den kann ich nur mit alk ertragen
ich will unbedingt besser sein als die meisten anderen menschen
hab irgendwann angefangen, mich von ihnen abzugrenzen
suchte meine vorbilder stets in gequälten seelen
meist zu empathisch für das reale leben
und dann halt kompensieren mit harten sprüchen
oder eben verschleiern hinter flachen witzen
ich will schon lang lieber 'nen unterschied machen, statt mich anzupassen
ich will schon lang die trümmer runterbrennen, statt mit anzupacken
ich will so unendlich viel, glaub dabei versagt zu haben
so vergrab ich mich erst in der wohnung, dann in mir selbst
irgendwann red ich mir wieder ein, ich versink im halbdunkel der welt
entweder bin ich tatsächlich bald gänzlich verloren und allein
oder fall von pillen wiederhergestellt der menschheit anheim

Montag, 27. März 2017

Bruderliebe



du warst praktisch schon ausgezogen, so lang ich mich erinnern kann
bist mein großes idol, dass die zeit rar gesät war, ändert nix daran
ich hab immer allen erzählt, wie krass mein ältester bruder ist
nur wegen dir hab ich als teen dann ganz in ruhe gekifft
du hast die mauern der elternschaft im alleingang eingerissen
meine revolte oder der mangel daran geht allein auf dein gewissen
inzwischen bist du irgendwo in die pampa gezogen
und ich bin jedes mal dankbar dort oben
uns verbindet mehr als 'n paar anekdoten
spätestens zwischen blut, schweiß und baustaub biste wie'n zweiter vater geworden


wenn wir ehrlich sind, bist du das schwarze schaf
wegen dir war egal was, so lang ich arbeit hab
aber das ist im grunde egal, denn wir haben auch 'ne menge spaß gehabt
du bist immer erreichbar, nie verhindert, tag für tag
hast mir die augen geöffnet für die filmschätze der welt
auch wenn ich angst hab, dass sie dir nicht mehr gefällt
du hast wahrscheinlich mehr feingefühl als wir anderen zusammengenommen
engelsgeduld mit den großeltern und dafür nie die nötige würdigung bekommen
sieh zu, dass du auf eigenen füßen stehen lernst
ich will nur, dass du weißt, dass du auf mich zählen kannst
ich mein nicht, du sollst dein scheiß auf die reihe kriegen
nur dass du raus musst aus der geiselhaft und weiterziehen


wir wollten eigentlich nie zusammen saufen gehen
früher wollten die lehrer in mir genau dich sehen
in der zeit fiel's mir manchmal schwer dich auszustehen
doch inzwischen hat man uns seltener nüchtern als blau gesehen
du hattest immer den gottverdammten masterplan
hab ich wieder was hingeschmissen, hast du mich angefahren
mir den arsch aufgerissen und dann wieder support mit vollgas
du warst schon immer super, was soll das
nur wegen dir hat dein ex mich über jahre durchgefüttert
du verdienst dein geld damit, doch wir leben schulterschlüsse

Sonntag, 19. März 2017

Gute-Nacht-Geschichte



Es gab mal einen Jungen, der hatte keine besonders schöne Kindheit, weil sein Vater so ein Disziplinfanatiker war und ihn auch regelmäßig geschlagen hat. Als der Junge älter wurde, verschlechterte sich das Verhältnis zu seinem Vater immer weiter, außerdem zeichnete schlimme Akne dem Jungen tiefe Kerben ins Gesicht. Aber er hatte einen Traum. Der Traum war erst eher unterschwellig, wurde aber im Laufe der Jahre immer klarer. Der Junge wollte schreiben und das tat er.

Aber wie es eben so ist mit Träumen, werden sie nicht einfach wahr und erfüllen sich nicht von einem auf den anderen Tag. Der Junge wurde zum Mann und verfolgte weiter seinen Traum, nur dass er eben auch irgendwie etwas in den Bauch bekommen musste. Also suchte er sich Arbeit, aber er war nie geschaffen für die Arbeitswelt und so geriet er ins Wanken. Er wechselte die Berufe öfter als seine Klamotten und seine Bettgeschichten noch öfter. Und er trank. Viel. So ging sein Leben über Jahre dahin. Schreiben, Arbeit, Frauen und Suff. Und dann wieder von vorn. 

Zwar fand er langsam Anerkennung für sein Schreiben, als er in seinen Dreißigern war, nur leben konnte er davon noch immer nicht.

So musste er weiter arbeiten, aber wie gesagt war er dafür nicht gemacht und wurde immer wieder gefeuert oder ging von selbst. Also kam es in der Melange aus Alkohol und den flüchtigen Frauenbekanntschaften, wie es kommen musste: er konnte sich nur Zimmer in den billigsten Vierteln der Städte leisten. Nur eines hat er nie aufgegeben, nie hergegeben: seine Schreibmaschine und damit auch seinen Traum. Er schrieb immer weiter. Für kleine Zeitungen und sogar Bücher von ihm wurden veröffentlicht. Weil er von den Verlegern über den Tisch gezogen wurde und sein Leben eben führte, wie er es nun mal tat, konnte er nur gerade so davon leben, doch immerhin konnte er es inzwischen.

Aber er erkannte auch oder vielleicht erkannte er es nicht, dass ihm etwas fehlte. Seine Beziehungen gingen über kurz oder lang, meist kurz, in die Brüche. Er war mittlerweile fast sechzig und die Richtige fehlte ihm an seiner Seite. Die eine, die mit seinem inzwischen verbitterten Wesen und seinen Marotten zurechtkommen würde. 

Bis er sie fand, führte er sein Leben wie seit Jahren - die immer gleiche Routine. 

Als er es wohl am wenigsten vermutete, da traf er eine Frau. Sie war eine erstaunliche Frau. Sie bekam ihn nicht vom Alkohol los, aber sie blieb dennoch bei ihm und konnte seinen Konsum einschränken und sie konnte damit umgehen, dass er sich hinter seiner Schreibmaschine versteckte und mit siebzig noch den selben Groll gegen die Welt hegte wie zehn, zwanzig, dreißig oder gar vierzig Jahre zuvor. Vielleicht zeigte er ihr nicht immer die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die sie verdiente, aber in seinem Inneren wusste er, dass er ihr die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verdankte und sie das beste war, das ihm je passiert war. Und er ließ es den aufmerksamen Leser in seinem Werk wissen, sodass auf ewig, ihrer beider Leben überdauernd, geschrieben stehen wird, was sie ihm bedeutete und wie dankbar er war, dass eine gute Frau sich eines Straßenköters wie ihm angenommen hatte...

Dienstag, 14. März 2017

Bretterbude

ich steh wieder auf den brettern, die die welt bedeuten
arschlecken! es geht um gefallsucht in den kellerräumen
 ein mutiger poet, eine traurige dichterin
sie erzählen alle, was wahrlich schaurige geschichten sind
bedeutungsschwanger das alltägliche verschleiern
hab ich das gefühl hier fehlt's ganz gewaltig an ovarien und eiern
es geht um schlafmangel, existenzsorge, first world problems eben
gefangen im einheitsbrei kann man wunderbar den konsens leben
und dann dieser tonfall, dieser gottverdammte tonfall
diese betonte langsamkeit, weil man sicher bald tot sei
noch schlimmer nur das publikum, das erwartungsvoll mit den füßen wippt
hinterher dann applausometer bis das blut aus den händen auf die bühne spritzt
und da steh ich, der prolo-intellektuelle
kack kurz vor's mikro und stell mich mit 'nem bier in die ecke

Sonntag, 12. März 2017

Kunst

ich rotz mirnichts, dirnichts scheiß aufs papier
meist nachts zwischen drei und vier
sie greift sich an den nachmittagen stift und papier 
um dann ihr inneres zu skizzieren
ich will die welt damit ins wanken bringen
sie will darin ihren anker finden
und auch wenn jeder von uns dabei losgelöst erscheint
gibt es etwas, das uns in den einsamen Stunden vereint
der wille etwas größeres als uns selbst zu prophezeien
oder zumindest uns von dem inneren drang zu befreien
sie will nicht in galerien hängen bei einer vernissage
ich will keine gewinnbeteiligung aus einem scheißvertrag
das höchste der gefühle, jemanden erreicht haben
es ist brotloser zeitvertreib, aber wieso auch nicht, wenn wir schon die zeit haben