Samstag, 16. Dezember 2017

Star Wars - Ein Märchen?



Im Folgenden soll die Frage geklärt werden, ob es sich bei Star Wars um ein Märchen handelt bzw. ob Star Wars dem Genre des Märchens zugeordnet werden kann.

Per Definition einer vertrauensvollen Quelle (Wikipedia) "sind Märchen frei erfunden und ihre Handlung ist weder zeitlich noch örtlich festgelegt" darüber hinaus ist "charakteristisch für Märchen [...] unter anderem das Erscheinen phantastischer Elemente in Form von sprechenden und wie Menschen handelnden Tieren, von Zaubereien mit Hilfe von Hexen oder Zauberern, von Riesen und Zwergen, Geistern und Fabeltieren." Anhand von Beispielen und Vergleichen mit handelsüblichen Märchen soll nun die Einordnung der Star Wars Originaltrilogie als Märchen erfolgen.

Zu allererst wäre zu erwähnen, dass die allseits bekannten einleitenden Worte "Es war einmal..." in der gesamten Star-Wars-Geschichte in Form der Worte "Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis..." in ihrer zu Beginn jeder Episode verkündeten, repetitiven Form einen hohen Stellenwert einnehmen.
Darüber hinaus verlieren die Protagonisten Luke und Leia Skywalker, ähnlich dem Ausgangspunkt vieler Märchen (z. B. Schneewittchen), zu Beginn ihre jeweilige Heimat und sehen sich mit scheinbar unüberwindbaren Widerständen, im Falle von Schneewittchen ist dies die böse Stiefmutter bei Star Wars das Imperium, konfrontiert, um das große Ziel - die Befreiung der Galaxie und Zerschlagung des Imperiums - zu erreichen. Dieser alle drei Episoden der Originaltrilogie verbindende Handlungsstrang wird zudem vorwiegend aus Sicht der Helden betrachtet, wie es ebenfalls in Märchen Usus ist, so wird die Geschichte des Rotkäppchens nicht aus Sicht des bösen Wolfs und Schneewittchen nicht aus Sicht der bösen Stiefmutter erzählt.

Nun ist bereits ein weiteres Charakteristikum von Märchen, welches sich ebenfalls in Star Wars widerspiegelt, zu erahnen. Es erfolgt eine klare Einteilung der handelnden Figuren in gut und böse. Schneewittchen, Rotkäppchen, Rapunzel, Aschenputtel sind ebenso wie Luke und Leia als eindeutig gut charakterisiert, während die zahlreichen Stiefmütter und Hexen ebenso wie Darth Vader und der Imperator als schlichtweg böse dargestellt werden.
Zudem geraten die Helden in Märchen oftmals in Isolation. Hänsel und Gretel werden im Wald ausgesetzt, Schneewittchen muss hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen ihr Dasein fristen, während Aschenputtel in die Isolation der Versklavung durch ihre Stiefmutter und Schwestern gedrängt wird. Die Isolation der Protagonisten in Star Wars wird in Episode V - Das Imperium schlägt zurück am deutlichsten als die Rebellen auf dem Eisplaneten Hoth Zuflucht in ihrer geheimen Basis suchen. In dieser Isolation erhalten die Protagonisten sowohl in Märchen als auch in Star Wars oftmals Unterstützung durch andere als gut charakterisierte Außenseiterfiguren, seien dies nun sieben Zwerge, der Jäger in Rotkäppchen, sprechende, magische Tauben in Aschenputtel oder Han Solo (ein Schmuggler) und der Wookiee Chewbacca, die Droiden R2-D2 und C-3PO oder die Ewoks auf Endor. All diese Helferfiguren sind für die Lösung der großen Gesamtaufgabe zwingend notwendig und ermöglichen den Protagonisten überhaupt erst den Kampf aufzunehmen - sei dieser nun eher spiritueller oder körperlicher Natur.
Sicher ist Star Wars nicht als klassisches Märchen zu verstehen, aber in Folge der Entstehung und Verbreitung von Kunstmärchen, wie z. B. von Hans Christian Andersen, wurde bereits begonnen die Grenzen des Märchenbegriffs zu verwischen bzw. aufzuweichen. Sofern man sich bei der Betrachtung literarischer Texte - zu denen Film aufgrund seiner Konzentration aufs Erzählerische ebenfalls gezählt werden kann - von jahrzehntealten Lehrmeinungen zu distanzieren vermag, kann eindeutig festgehalten werden, dass Star Wars sowohl per Definition als auch in Folge der verschiedenen Überschneidungen als Märchen eingestuft werden kann.

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Rezidiv



seit tagen
will ich dir
'ne frage stellen
wieso, weiß ich nicht
oder was ich
mit der antwort soll
will ich damit nur
ein spiel gewinnen
will ich dann
zu dir zurück kriechen
getretener hund
immer treu
ich dacht, ich wär
drüber weg
drauf und dran
klarzukommen
jetzt kehren die
gedanken zurück
drehen runden im kopf
du und ich
ich und du
im dunkeln am see
in deiner neuen
wohnung
kahle wände, keine möbel
nur wir zwei


ich in der apotheke
wochen später
an der kasse
test numero zwei
nur sichergehen
vodka auf'm tisch
um nachzuspülen
falls die kacke
doch am dampfen ist
dann ficken aus
erleichterung
weckerklingeln
alltag schiebt
gedanken weg
routine treibt
sorgen aus
schockmoment
wird abstandshalter
entfernung wächst
zeit vergeht
lang nicht gesehen
bis ja bis
da nur noch
leere war
und seit tagen
will ich dir
'ne frage stellen

Mittwoch, 18. Oktober 2017

Hummer



"... der Zug endet hier. Wir bitten alle Fahrgäste auszusteigen und freuen uns, Sie bald wieder in den Zügen von DB Regio begrüßen zu dürfen."
Er steht auf und folgt ihr in sicherem Abstand. Aus dem Zug. Über den Bahnsteig. Durch die Unterführung. Über den kleinen Bahnhofsvorplatz. Sein Blick haftet auf ihr. Der Andere sitzt ihm im Nacken. Sie sieht sich um, ihn an. Er vergräbt die Hände tief in den Taschen. Guckt auf den Boden. Es ist schon lange dunkel. Die Bordsteine noch länger hochgeklappt. Sie beschleunigt ihren Schritt. Er zieht nach. Hält weiter Abstand. Holt eine Zigarette aus dem Etui. Verlangsamt seinen Schritt beim Anzünden wieder. Der Rauch des ersten Zugs brennt in seinen Lungen. Er unterdrückt ein Husten. Räuspert sich nur. Sie sieht wieder zu ihm zurück, ehe sie die Straßenseite wechselt. Er inhaliert den Rauch, atmet aus, schielt zu ihr rüber. Unterdrückt den Schrei des Anderen. Er beobachtet sie aus dem Augenwinkel. Behält sie im Blickfeld. Bald kommen sie an einen Park. Ein Teil von ihm hofft, dass sie den umgeht. Und der Andere treibt ihn immer weiter.

Ihre High Heels klackern auf dem Pflaster, seine Turnschuhe geben bei jedem Schritt nur einen dumpfen Ton. Er schnippt die Zigarette in den Rinnstein. Sieht den Stummel in einem Gully verschwinden. Als er seinen Blick wieder hebt, ist sie verschwunden. Es überrascht ihn, ärgert ihn, obwohl er es erwartet hat. Gehofft hat. Er bleibt stehen und sieht sich hastig um. Sein Blut kocht. Und der Andere schreit wieder. Treibt ihn weiter an. Er dreht sich auf der Stelle, bereit über die Straße zu sprinten. Kneift die Augen zusammen, sucht nach Spuren ihres Wegs. Denkt an den Park. Zweihundert Meter. Nur noch zweihundert Meter weiter hätten sie gemusst. Der Andere versucht, die Ratio, die Beherrschung niederzuringen. Er geht ein Stück zurück. Seine Augen scannen eine spärlich beleuchtete Gasse. Seine Ohren lauschen ins Dunkel. Weit und breit kein Klackern mehr. Sie muss die Schuhe ausgezogen, sich versteckt, zu schweben begonnen haben. Er geht auf die andere Straßenseite, die Gasse entlang. Sein Blick tastet die Nacht ab. Sie darf nicht einfach so weg sein. Er schaut nach links und rechts. Vielleicht kauert sie in einem Hauseingang. Eine andere Straße quert die Gasse. Er dreht sich auf der Kreuzung im Kreis, folgt den Anweisungen des Anderen weiter die Gasse entlang. Sondiert weiter die Eingänge, lauscht nach dem Klackern, schwerem aufgeregtem Atem. Nichts. Er fährt sich durchs Haar, reißt sich dabei ein Büschel aus. Knackt mit den Fingerknöcheln. Er weiß, er sollte aufgeben, nach Hause gehen, doch er will sie finden. Sie stellen. Der Andere wird ruhiger. Langsam, ein wenig. Ergibt sich der Tatsache, heute keinen Fang zu machen.

Welche Ziele er sich gesetzt habe, hatte der Therapeut gefragt. Was immer du hören willst. Einen Zug eher fahren, um sie nicht wieder zu sehen. Nicht wieder getriggert zu werden. Sicher, wieso nicht? Seine Hände hatten gezittert. Er hatte die Finger verschränkt und wieder geöffnet, die Handflächen aneinander gerieben.
Endlich hat er etwas zum Spielen. Er wiegt die Pillendose in der Hand. Ob sie ihm helfen? Natürlich. Er sieht die drei vollen Dosen im Müll liegen. Er will die Chemie nicht mehr. Will kein Hummer mehr sein. Unsterblich, bis das Innere so stark gegen den Panzer drückt, dass es ihn selbst zerquetscht. Der Andere bricht ihn auf. Die Dose klirrt im Mülleimer. Noch ein Mal. In der Gasse kurz vorm Park, wo sie letzte Nacht entkommen ist. Noch ein Mal. Der Andere sitzt ihm im Nacken. Applaudiert. Noch ein Mal.

Montag, 25. September 2017

Traumwandler



Sandra liegt auf ihrer Couch. Embryonalhaltung. Der Tee dampft im Halbdunkel und verwandelt den Raum, gemeinsam mit den Vanilleduftkerzen, in ein olfaktorisches Martyrium. Die Farbe trocknet auf der Leinwand. Sie weiß, sie hat es wieder nicht geschafft.

Sandra verteilt die Farben auf der Palette, legt sie auf dem Pult ab, das sie schon bereitgestellt hat. Sie baut die Staffelei auf. Die Sonne fällt durchs Fenster auf die Skizze, die sie an die Wand gepinnt hat. Sie hat einen Traum. Legt sorgfältig Pinsel, Spachtel, Tücher bereit. Das Wasser im Becher wirbelt noch, als sie den Pinsel eintaucht. Schaffenskraft durchströmt jede ihrer Fasern. Sie nimmt die Farbe auf. Der erste breite Strich färbt die Leinwand. No mistakes, just happy accidents, fährt es ihr durch den Kopf. Nicht verkrampfen. Einfach geschehen lassen, fließen lassen. Schaffen. Etwas. Größer als sie selbst. Beständiger als sie selbst. Die Zeit überdauernd.
Ihr Handy vibriert auf dem Couchtisch hinter ihr. Sie geht nicht ran, nimmt es kaum wahr. Lässt es klingeln. Dann wieder Stille. Nur die Striche auf der Leinwand sind zu hören. Die Autos auf der Straße vor dem Fenster. Fast wie Meeresrauschen.
Strich.
Strich.
Strichstrich.
Strich.
Ein Schritt zurück. Pinsel ausspülen, ablegen. Neuer Pinsel. Schmaler. Neue Farbe. Und wieder Strich.
Strich.
Strich.
Strichstrichstrich.
Strich.
Strich!
STRICH!
Sie wirbelt über die Leinwand wie in Trance. Die Zeit verfliegt. Jeder Strich ein Stück dem Ende entgegen. Nicht konsumieren. Schaffen. Perfektion. Ziel. Traum. Anspruch. Kein Bewusstsein mehr. Besessenheit.
Strich.
Strichstrich.
Strich.
Bis zum letzten Pinselstrich. Dann Erwachen. Betrachten. Zurück wanken. Bewerten. Ernüchterung. Perfektion ist Ziel, ist Traum, verfehlt Anspruch, wird Albtraum.

Das abgehangene Fleisch verwandelt den Raum in ein olfaktorisches Martyrium. Sandra hängt von der Decke. Die Füße baumeln in der Luft. Ihre Bilder sind an den Wänden entlang aufgereiht. Und während die Feuerwehrleute den Strick entknoten, betrachtet einer der Rettungssanitäter ihre Galerie der gescheiterten Erwartungen an sich selbst. Er kann den Blick nicht abwenden. Er will jedes ihrer Bilder in seiner Wohnung aufhängen, doch er denkt an seinen Schwager. Galerist. Späte Ehre. Vernissage. Finanzkraft. Käufer. Leichenfledderei. Erfüllung eines Traums. Ihres Traums? Seines Traums? Deren Träume?

Das Bild hängt am Kopfende eines Bettes am anderen Ende der Stadt über dem schlafenden Rettungssanitäter und in seinen Träumen wandelt er zwischen ihren Strichen.