Es war ein ganz
normaler Abend Mitte April. Über mir tobte das Leben, oder viel eher machte das
Leben ihn toben. Ich konnte nie herausfinden, ob es zu viel oder zu wenig Stoff
war, der das aus ihm heraus kitzelte. Aus diesem hageren Häufchen Elend, diesem
Opfer seines eigenen Lebens. Die Augen gerahmt von schwarzen Ringen, die Haut
fahl, den kalten Schweiß auf der Stirn wirkte er immer, als kuriere er gerade
eine schlimme Grippe aus.
Seine bessere Hälfte
blieb, trotzdem er immerfort mit ihr in den allerhöchsten Tönen sprach.
"Schlampe!"
"Fotze!"
"Verpiss dich, du
Hure!"
Türen knallten,
Teller flogen und zerschellten.
Die Beamten rückten
an, nachdem das Mobiliar zerbarst.
An diesem Abend
waren die Bullenschweine erstaunlich gern gesehene Gäste im Haus, nachdem alle
Beschwerden, alle Gesprächsangebote, alle Drohungen gar an der Wohnungstür
verhallten.
Das Blaulicht lud
beinah' zum Tanzen ein, die immer gleichen Fragen bildeten die Bassline: "Haben Sie was
genommen? Haben Sie getrunken?"
Seine Argumentation
drehte sich entgegengesetzt im Kreis: "Hab ich Sie
angerufen? Nein! Also, warum reden Sie mit mir?"
Schnell war mir klar,
dass er damit die Beamtengemüter nicht besänftigen konnte.
So führten beide
Parteien eine ganze Weile ein rhetorisches, höchst eloquentes Tänzchen auf.
"Was ist hier
vorgefallen?"
"Das geht Sie gar nix
an!"
"Haben Sie was
genommen?"
"Das geht Sie gar nix
an!"
Und so weiter und so
fort.
Dann wurde es
verdächtig ruhig. Vom Fenster sah ich die Freunde und Helfer seine bessere Hälfte
zum Dienstwagen eskortieren.
Er hatte sich irgendwann
wieder gefangen, alleingelassen mit sich in der Wohneinheit.
Später hörte ich die
Dusche laufen, dann den Knall von Biomasse auf Keramik. Es folgten Schmerzensschreie
in immer länger werdenden Intervallen und das quietschende Rutschgeräusch
strauchelnder Gliedmaßen in der Duschwanne. Noch später wurde es, bis auf das
gleichmäßige Rauschen in der Wasserleitung, still und ich konnte endlich
schlafen.
Als am nächsten Tag
niemand dem abgehalfterten Hausmeister öffnete, drehte der prompt den Haupthahn
zur Wohnung ab, klebte einen Infozettel an die Tür, man möge sich bei ihm
melden.
Auch die nächsten
Tage blieb es auffällig unauffällig im Stockwerk über mir. Weder sah noch hörte
ich ihn oder sie. Wäre er die Oma aus dem dritten Stock gewesen, ich hätte mich
gesorgt, doch so genoss ich wie der Rest des Hauses den faulen Frieden.
Ich weiß nicht mehr,
wie lang es dauerte, bis der süßliche, moschusartige Duft der späten
Gerechtigkeit seinen Weg durch die verschlossene Wohnungstür ins Haus fand. Bis
man ihn in einer schlichten schwarzen Kiste aus dem Haus trug. Bis die
Spezialreiniger kamen. Bis endgültig Ruhe einkehrte.