Sonntag, 19. März 2017

Gute-Nacht-Geschichte



Es gab mal einen Jungen, der hatte keine besonders schöne Kindheit, weil sein Vater so ein Disziplinfanatiker war und ihn auch regelmäßig geschlagen hat. Als der Junge älter wurde, verschlechterte sich das Verhältnis zu seinem Vater immer weiter, außerdem zeichnete schlimme Akne dem Jungen tiefe Kerben ins Gesicht. Aber er hatte einen Traum. Der Traum war erst eher unterschwellig, wurde aber im Laufe der Jahre immer klarer. Der Junge wollte schreiben und das tat er.

Aber wie es eben so ist mit Träumen, werden sie nicht einfach wahr und erfüllen sich nicht von einem auf den anderen Tag. Der Junge wurde zum Mann und verfolgte weiter seinen Traum, nur dass er eben auch irgendwie etwas in den Bauch bekommen musste. Also suchte er sich Arbeit, aber er war nie geschaffen für die Arbeitswelt und so geriet er ins Wanken. Er wechselte die Berufe öfter als seine Klamotten und seine Bettgeschichten noch öfter. Und er trank. Viel. So ging sein Leben über Jahre dahin. Schreiben, Arbeit, Frauen und Suff. Und dann wieder von vorn. 

Zwar fand er langsam Anerkennung für sein Schreiben, als er in seinen Dreißigern war, nur leben konnte er davon noch immer nicht.

So musste er weiter arbeiten, aber wie gesagt war er dafür nicht gemacht und wurde immer wieder gefeuert oder ging von selbst. Also kam es in der Melange aus Alkohol und den flüchtigen Frauenbekanntschaften, wie es kommen musste: er konnte sich nur Zimmer in den billigsten Vierteln der Städte leisten. Nur eines hat er nie aufgegeben, nie hergegeben: seine Schreibmaschine und damit auch seinen Traum. Er schrieb immer weiter. Für kleine Zeitungen und sogar Bücher von ihm wurden veröffentlicht. Weil er von den Verlegern über den Tisch gezogen wurde und sein Leben eben führte, wie er es nun mal tat, konnte er nur gerade so davon leben, doch immerhin konnte er es inzwischen.

Aber er erkannte auch oder vielleicht erkannte er es nicht, dass ihm etwas fehlte. Seine Beziehungen gingen über kurz oder lang, meist kurz, in die Brüche. Er war mittlerweile fast sechzig und die Richtige fehlte ihm an seiner Seite. Die eine, die mit seinem inzwischen verbitterten Wesen und seinen Marotten zurechtkommen würde. 

Bis er sie fand, führte er sein Leben wie seit Jahren - die immer gleiche Routine. 

Als er es wohl am wenigsten vermutete, da traf er eine Frau. Sie war eine erstaunliche Frau. Sie bekam ihn nicht vom Alkohol los, aber sie blieb dennoch bei ihm und konnte seinen Konsum einschränken und sie konnte damit umgehen, dass er sich hinter seiner Schreibmaschine versteckte und mit siebzig noch den selben Groll gegen die Welt hegte wie zehn, zwanzig, dreißig oder gar vierzig Jahre zuvor. Vielleicht zeigte er ihr nicht immer die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die sie verdiente, aber in seinem Inneren wusste er, dass er ihr die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verdankte und sie das beste war, das ihm je passiert war. Und er ließ es den aufmerksamen Leser in seinem Werk wissen, sodass auf ewig, ihrer beider Leben überdauernd, geschrieben stehen wird, was sie ihm bedeutete und wie dankbar er war, dass eine gute Frau sich eines Straßenköters wie ihm angenommen hatte...

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