Es war um den Jahreswechsel, als uns
die Nachrichten eines neuen, hochansteckenden Virus' erreichten. Da
hieß es noch, die Grippe sei viel, viel schlimmer, selbst wenn alle
Statistiken zu Ansteckungsrate und Krankheitsverlauf das Gegenteil
indizierten. Anfangs lachten wir auch noch darüber, dass das Regime
in China eine ganze Provinz abriegelte. Sowas gäbe es auch nur in
einer Diktatur.
Einige Wochen später erreichte auch
uns der Virus und wir wurden alle in unsere Wohnungen verbannt.
Hashtag zuhause begleitet von Polizisten auf Spielplätzen, in Parks,
in Hubschraubern über den Städten und Denunziantentum im engeren
Wohnumfeld. Es fühlte sich an, als warteten wir alle aufs
Ergebnis des AIDS-Tests. Vorsorglich schenkten wir deshalb nach und
nach unsere Rechte her. Auf Ausgangsbeschränkungen folgten
freigegebene GPS-Daten und Bewegungsprofile. Feuchte Träume von
Autokraten erfüllt vom freien, panischen Bürgerwillen.
Sondervollmächte und Ermächtigungen bis die Krise ausgestanden sei.
Doch wann war ein Virus je verschwunden? Die wenigsten waren darauf
vorbereitet die Freiheit einst Stück für Stück zurück zu erobern.
Zu sehr waren wir auf unsere eigene, kleine Blase getrimmt.
Die Einschränkungen im Privaten gingen
Hand in Hand mit Schließungen all überall. Konzerne und
Unternehmen, die selbstbeweihräucherten Motoren unserer
Gesellschaft, sie alle beantragten sofort Kurzarbeit. Die Arbeiter,
die Angestellten, alle auf Biegen und Brechen über Jahre bis zum
letztmöglichen Tag für die letzten Kröten ausgepresst, sie alle
wurden schnellstmöglich herabgesetzt auf fünfzig, zwanzig oder gar
null Prozent ihrer Arbeitszeit, sahen ihre Felle davonschwimmen. Die
Vermieter, die Banken, keiner war bereit, auf sein Geld zu
verzichten. Stundungen das höchste der Gefühle. Währenddessen
beschlossen Milliardenkonzerne, die immer schon, wo immer möglich
ihre Steuerlast kleinrechneten, ihre Zahlungen einzustellen. Kredite?
Können wir nicht bedienen. Mietzahlungen für Ladengeschäfte? Wie
denn, ohne Einnahmen.
Und die geschundenen Massen? Sie
kuschten weiter. „Gott bewahre uns vor der Arbeitslosigkeit. Die
abhängige Beschäftigung macht uns frei.“
Parallel dazu schrien die Firmen, die
sich durch Abgaben und staatliche Beschränkungen in ihrem freien
Handeln eingeschränkt fühlten, sofort nach Vater Staat. Vater
unser, der du sitzt im Reichstag, geheiligt werde dein Name. Dein
Reich komme. Dein Wille geschehe. Unsere Hilfszahlungen gib uns
heute. Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren
Gläubigern. Erlöse uns von der Lohnfortzahlung. Denn dein ist das
Recht und die Republik. In Ewigkeit. Amen.
Während also die einen
zwangsentschleunigt wurden, die anderen ihre Milliarden retteten und,
ohne dass sie es in der Form wollten, die systemrelevanten Berufe in
den Mittelpunkt gespült wurden, wurden auch die Rufe immer lauter.
Zunächst noch verhalten, bald immer überzeugter. „Asylbewerber
auf die Felder!“ „Und Fridays For Future!“ „Und Hartzer!“
„Und die linksgrünversifften Meinungsdiktatoren sowieso!“ Der
gute, aufrechte Biodeutsche habe schließlich ein Geburtsrecht auf
Spargel. Zwangsarbeit zur Erntezeit war der schmale Grat, auf dem man
wandeln wollte. Der Protest dagegen verhallte in den Unweiten der
gedrosselten Internetgeschwindigkeit.
So gingen die Wochen ins Land, bis wir
kurz vor Beginn der zweiten Jahreshälfte wieder ohne Passierschein
den Arbeitsweg antreten durften. Dort angekommen sagte man uns, es
sei nun unabdingbar, hundertfünfzig, ach was, zweihundert Prozent zu
geben, um die wirtschaftlichen Schäden abzufedern. Natürlich dürfe
man sich wieder frei bewegen, aber bisherige Arbeitszeitregelungen
müsste man nun zunächst außer Kraft setzen, bis die Krise
ausgestanden sei. Der Virus habe schließlich eine noch schwerer
wiegende Wirtschaftskrise bedingt. Wie vorher könne man da nicht
weitermachen. Die Natur, die versucht hatte, zurückzuschlagen, hatte
man ja wieder unter Kontrolle gebracht. Jetzt galt es das gottgleiche
Wesen des Marktes am Leben zu erhalten, damit er alles weitere regeln
konnte.
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