Samstag, 17. Juni 2017

Nachbarschaftsfrühstück

6:56 Uhr. Ich zieh mir eine Jeans über den Schlafanzug, verlasse die Wohnung und gehe die paar Schritte bis zum Supermarkt um die Ecke.

7:01 Uhr. Ich stehe vor dem seit einer Minute geöffneten Supermarkt und schaue auf die Straße, ehe ich meine Zigarette im Ascher ausdrücke. Meine Nachbarin joggt vorbei. Sie stählt wieder ihren Körper, bevor sie später in der Uni den Geist trainiert.

7:11 Uhr. Ich komme mit ein paar Flaschen Bier, 'ner Pulle Pfeffi und zwei Schachteln aus dem Supermarkt und gehe zurück zum Haus. Natürlich rauche ich.

8:27 Uhr. Ich stehe mit Kippchen und Kaffee am Küchenfenster. Meine Nachbarin kommt gerade von ihrer Laufrunde. Ich nicke ihr zu und sie grüßt zurück. 

8:43 Uhr. Es klopft an meiner Tür. Ich gehe zum Spion und sehe hindurch. Meine Nachbarin. Ich öffne die Tür, sie wünscht mir einen guten Morgen und fragt, ob ich mit ihr frühstücken möchte.

8:50 Uhr. Wir sitzen an ihrem Küchentisch. Sie wolle nicht allein essen und das beinahe verwaiste Haus bereite ihr um diese Zeit besonderes Unbehagen.

8:55 Uhr. Der Kaffee ist schon durchgelaufen und dampft jetzt in meiner Tasse. Sie hat nur Sojamilch.


8:59 Uhr. Ich bemerke, wie ihre frisch gewaschenen Haare an ihrem Hals und ihren Schultern kleben. Sie ist trotz Sojamilch schön. Das Joggen lohnt sich.

9:01 Uhr. Sie fragt mich, was ich so mache. Ich sage ihr, so dieses und jenes und behaupte, ich sei ein Lebemann. Sie nickt vielsagend. Ich frage, was genau sie eigentlich studiert. Sie erzählt von irgendwas mit Medien und ich merke, wie aus dem Gespräch sofort die Luft raus ist.

9:06 Uhr. Der zweite Kaffee mit Sojamilch schmeckt schon besser. Gar nicht so schlecht das Zeug. Besser als das dahin dümpelnde Gespräch allemal. 

9:10 Uhr. Das Gespräch hat wieder an Fahrt aufgenommen, während wir über ihre Vorliebe fürs Joggen sprechen. Sie meint ein gesunder Geist verlange nach einem gesunden Körper. Ich meine Körper und Geist sollten sich in Einklang befinden. Sie meint, das sei dasselbe. Ich erkläre ihr, dass Leberzirrhose und die Trümmer geistiger Gesundheit auch einen wunderbaren Einklang hervorbrächten, ihrer These aber grundsätzlich widersprächen, so man den Ärzten glauben darf. Ich echauffiere mich weiterhin, dass der Optimierungswahn unserer modernen Gesellschaft in mir starken Brechreiz auslöst und zünde mir eine Zigarette an.

9:13 Uhr. Ich stehe vor ihrer Wohnung und die Tür knallt hinter mir ins Schloss. Dass heutzutage aber auch keiner mehr vernünftig diskutieren kann. Ich hole meinen Schlüssel raus und öffne meine Tür. Bei ihr hab ich wohl verschissen, aber vielleicht probier ich das mit der Sojamilch doch mal...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen