Mittwoch, 19. April 2017

Ladenschluss

Ich guck die beiden mittlerweile seit 'ner halben Stunde genervt an. Ich mein, es fing ja ganz okay an. Er hat zumindest 'ne Kleinigkeit gegessen und sie hat sich gut einen eingeschenkt, aber inzwischen hält sie sich seit 'ner Stunde an ihrem halbleeren Weinglas fest und er, naja ihn kann man wohl komplett vergessen. Das schlimmste ist, ich glaube, er weiß, was ich die letzten Minuten denke, aber er hat einfach nicht die Eier, die Frau neben sich aufzuscheuchen. Schon klar, dass die beiden in dieser Stadt nirgends sonst hinkönnen. Sie sind aber auch ein "komisches" Paar. Er ist zu klein für 'nen Kerl und zu dick für sein Alter und sie ist eigentlich zu alt für ihn, aber dafür echt schön anzuschauen. Also ich versteh wirklich, warum die beiden hier sind. Ja, hier kann man ungestört sitzen und trinken und 'ne Kleinigkeit essen, aber irgendwann will ich auch mal Feierabend haben. Den Tresen hab ich schon für drei Wochen im Voraus geputzt, die Gläser sind alle gespült bis auf ihres, der Koch ist grade heim, jetzt hängt es eben echt nur noch an den beiden.

Oh nein! Warum denn das jetzt? Er legt seinen Arm um sie. Moment, vielleicht, er flüstert ihr was ins Ohr. Sie wirkt ein wenig aufgebracht, wie sie so auf ihrem Telefon rumtippt und ihn volllallt. Naja vielleicht wird es ja zumindest nochmal spannend jetzt, wenn er sie scheinbar schon nicht überzeugen konnte zu gehen.

Sie gibt ihm ihr Telefon, anscheinend soll er korrekturlesen. Und sie redet immer weiter, aber sie wird lauter und gleichzeitig undeutlicher, aber auch ungehaltener. Ich versteh kein Wort. Und ob er weiß, worauf er sich da eingelassen hat? Vermutlich nicht. Aber immer wieder interessant zu sehen, was so eine Flasche Wein auf nüchternen Magen aus den gefasstesten Menschen machen kann.

Am besten polier ich demonstrativ noch ein letztes Glas und sag dann irgendwas wie: "So! Da kann der Feierabend ja kommen."

Ach sieh an! Er winkt mich rüber. Küche is' nich' mehr und Getränke sind auch aus für heute, das wird ihm doch hoffentlich klar sein.

Na Gott sei Dank! Er will die Rechnung. Liebend gerne doch und dann könnt ihr bitte auch direkt verschwinden. Ich versuche ein freundliches Lächeln zu immitieren. Wenn er Glück hat, ist der Heimweg lang genug, damit sie den Kopf wieder halbwegs frei bekommt. Soll mir auch egal sein, jeder ist seines Glückes Schmied. Oder sich selbst der Nächste? Irgendsowas halt. Vielleicht sollte ich ihm trotzdem noch einen Rat mit auf den Weg geben, während sie versucht in die Jacke zu kommen. Ach Quatsch! Nützt ja nix! Außerdem bringt der Chef mich um, wenn ich potentielle Stammgäste vergraule. 

Ich verabschiede die beiden an der Tür, schließ ab und lass ihr dreckiges Glas stehen. Soll sich doch morgen früh jemand drum kümmern.

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