Donnerstag, 29. Dezember 2016

Business as Usual

irgendwie konnten nutten für mich einfach nie ihren zweck erfüllen
als würde ich nicht merken, dass sie nur erzählen, was sie denken, was ich hören will

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 Sie haben sich vor etwa fünfunddreißig Minuten kennengelernt und seit dreißig davon sind sie nackt. Abgesehen von dem unbefleckten, über seinen Schwanz gezogenen Präservativ ist er das immer noch, während sie bereits aus dem Bett gestiegen ist, sich ihren Tanga angezogen hat und nun zur Tür geht. "Ich werde jetzt die Tür aufmachen, damit die wissen, dass alles in Ordnung ist. Du kannst dich gern im Bad waschen und anziehen. Dann können wir noch ein bisschen reden, wenn du willst." Sie öffnet die Tür und macht kurz einen Schritt raus und wieder rein. "Möchtest du was trinken? Ich kann dir Eistee oder Wasser anbieten." Er spuckt gerade aus, nachdem er sich den Mund unter dem Wasserhahn ausgespült hat und wischt sich mit dem Handrücken die Lippen trocken: "Ja... Eistee... bitte... danke!" Er zieht sich seine Boxershorts an und riecht an seinen Achseln. Kalter Schweiß, Suff und noch nicht ganz so kalter Schweiß. Er hält seine Hände unter den Wasserhahn und reibt sich kurz mit kaltem Wasser den Oberkörper und das Gesicht ab, bevor er sich mit einem der Handtücher abtrocknet. Er sieht in den Spiegel, reibt sich das Gesicht und setzt seine Brille wieder auf. Er fühlt sich nicht schmutzig oder beschämt, zumindest nicht wegen dem, was andere in seiner Lage beschämen würde. Er zieht sich seine Sachen an, bis auf die Socken, mit denen geht er wieder ins andere Zimmer und setzt sich auf einen der beiden Sessel - völlig unmöglich in seinem Zustand das Gleichgewicht zu finden, um sie im Stehen anzuziehen. Sie hat sich inzwischen, wieder in Arbeitskleidung, auf den Hocker vor dem Zimmer gesetzt. "Das Glas auf dem Tisch ist deins." Er nickt und holt Tabak, Papers und Filter aus seiner Hosentasche: 'Du bist vielleicht immer noch zu besoffen, deine Socken einfach so im Stehen anzuziehen, aber das muss jetzt klappen.' Er dreht sich eine Zigarette, sie steht währenddessen vom Hocker auf, holt einen Aschenbecher aus dem Zimmer und setzt sich mit ihm in der Hand wieder hin. 

Er geht zu ihr rüber und stellt sich neben der Tür in den langen Flur. Einer seiner Freunde und eine ihrer Kolleginnen eilen gerade, jeder von ihnen nur in ein Handtuch gewickelt, von einem Zimmer in ein anderes. Er zündet sich seine Zigarette an und nimmt einen tiefen Zug, während er ihr tief in die Augen sieht: "Und wo kommst du her?" Blöde Frage, das weiß er selbst, aber ein Akzent ist nunmal nicht unbedingt der schlechteste Aufhänger für ein wenig Small Talk. Sie erzählt ihm, sie sei aus Ungarn und da er erschreckend wenig über dieses Land weiß, fragt er einfach, ob sie diesen Job schon immer machen wollte. Er hat das Gefühl, seine Fragen würden immer dümmer. Sie fährt fort, dass sie eigentlich gelernte Schneiderin sei und keine Anstellung bei angemessener Bezahlung gefunden habe, weshalb sie jetzt seit ein paar Jahren das hier mache. Er hat seine Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Geschichte, nicht weil er ihr grundsätzlich die Ehrlichkeit absprechen will, sondern weil seine eigene Lüge zum Auftakt ihrer Geschäftsbeziehung ihn beschämt. Er würde bald heiraten und dies sei sein Junggesellenabschied. Bullshit! und das weiß sie ziemlich sicher auch. Er und seine Kumpels haben sich diese beschissene Geschichte als Begründung ausgedacht. Warum eigentlich? Sie brauchten keinen vorgeschobenen Grund, um an diesem Abend zu saufen, sie haben es einfach getan. Sie brauchten auch keinen vorgeschobenen Grund, zu rauchen und haben es einfach getan. Aber als sie im Laufe des Abends keinen Stich landen konnten, es aber gerne wollten und dafür den Geldbeutel aufmachten, da brauchten sie auch plötzlich eine konstruierte Geschichte, um daraus eine Rechtfertigung zu ziehen. Er ist sich sicher, sie hat im Laufe der Jahre zu viele Männer kennengelernt, um das nicht zu erkennen und deshalb zweifelt er ihre Worte an, denn wieso sollte sie ihm jetzt die Wahrheit erzählen, und er schämt sich für die eigene Geschichte. Dass er sie für ein bisschen gemeinsame Zeit bezahlt hat: Scheißegal! Dass er in der halben Stunde nicht zum Höhepunkt gekommen ist: Scheißegal! Aber eine Professionelle anzulügen, das macht ihn ein Stück weit fertig, denn er hätte ihr überhaupt keine Geschichte auftischen müssen, so funktioniert das Geschäft nicht. Es ging ihm und seinen Freunden nur darum, das eigene Handeln irgendwie vertretbarer erscheinen zu lassen, um sich selbst dabei ein wenig besser zu fühlen und dass das kompletter Schwachsinn war, wird ihm jetzt bewusst, während er ihr halbwegs aufmerksam zuhört. Sie scheint ganz nett zu sein, privatwirtschaftliches Interesse hin oder her. 

Er drückt seine Zigarette im Ascher aus, verabschiedet sich von ihr und setzt sich zu zwei seiner drei Freunde auf der Couch im Eingangsbereich. Sie beschließen noch ein wenig auf den vierten zu warten. Er wälzt weiterhin die Gedanken in seinem Kopf von A nach B und wieder zurück. Seine beiden Freunde wollen wissen, wie es bei ihm lief. "Alles super!" warum jetzt mit dem Lügen aufhören, das hat auch bis nach dem Schlafen Zeit. Eine halbe Stunde vergeht, bis sie in ihren Straßenklamotten an der Couch vorbei kommt. "Und wie war mein Kumpel?" poltert es aus einem der beiden anderen heraus. Sie versichert er sei ganz toll gewesen und streichelt ihm dabei über die Schulter, als wüsste sie über jede Kleinigkeit in seinem Kopf Bescheid. Er beschließt eines Tages zurückzukehren und ganz ehrlich, vor allem zu sich selbst, dem ganzen Konzept noch eine Chance zu geben.

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